Traumaberatung

Was ist ein Trauma?

Ein Trauma ist ein kurz oder lang anhaltendes Ereignis von außergewöhnlicher Belastung, das bei nahezu jedem Menschen tiefgreifende Verzweiflung und ein Gefühl der Hilflosigkeit und Ohnmacht auslösen würde.

Im Unterschied zu einem "nur" belastenden Ereignis kann das Gehirn das Geschehen nicht verarbeiten und im biografischen Gedächtnisarchiv ablegen. So bleiben Ohnmachtsgefühle, körperliche und psychische Beschwerden, bis hin zu Todesängsten weiterhin bestehen und erschweren das weitere Leben der Traumatisierten massiv.

Man unterscheidet:

Akut- oder Monotrauma:

zB Naturkatastrophen, schwere Unfälle, schwere Verlusterlebnisse, Opfer oder Zeuge von Gewaltverbrechen werden, Operationen, …

Langzeittrauma:

Langanhaltende oder wiederholte, schlimme Erlebnisse (oft in der eigenen Herkunftsfamilie), die mit permanenter Hilflosigkeit, Scham, Angst oder Demütigung einhergingen.
Beispiele: Vernachlässigung, Krieg, verbale oder körperliche Gewalterfahrungen, Missbrauch, längere Trennung von Bezugspersonen, Mobbing, …

Was ist eine Traumatisierung?

Nicht jede Extremsituation führt zu einer Traumatisierung und Folgestörungen.

Je nachdem, über welche Bewältigungsstrategien man verfügt, wie viel Hilfestellung man bekommt, oder ob man sich hilflos und ausgeliefert fühlt, entsteht eine Traumatisierung oder auch nicht.

Unter Traumatisierung verstehe ich, dass das Belastende nicht im Gehirn verarbeitet und abgespeichert wurde, und bis ins Heute hinein unbewusst im Gehirn, in den Gefühlen, im Körper und den Gedanken präsent ist und dadurch die Lebensqualität massiv einschränkt.

Je jünger man ist, je länger man extremen Situationen ausgesetzt ist, je weniger Verständnis und Hilfe man bekommt und je mehr das Geschehen im engen Familienkreis stattfanden, desto eher droht eine Traumatisierung mit Folgestörungen.

Zwei Drittel aller Betroffenen verarbeiten sehr belastende Lebensereignisse ohne Folgen. Das Ereignis wird vom Gehirn nach und nach verarbeitet, ins Biografiegedächtnis abgelegt und macht keine weiteren Schwierigkeiten.

Ein Drittel leidet, oft unbewusst, unter einem posttraumatischen Belastungssyndrom (PTBS).

Das Erlebte wurde nicht vom Gehirn adäquat verarbeitet und im „Archiv: Damals“ gespeichert, sondern belastet durch unterschiedlichste Symptome bis ins Heute hinein das Leben der Betroffenen.

Was geschieht bei einem Trauma im Gehirn?

Wir haben in unserem Gehirn eine Struktur, die sogenannte Amygdala, die hereinkommenden Informationen und Reize auswertet.

Bei Reizen, die Gefahr und großen Stress bedeuten, gibt sie den Auftrag, durch Stresshormone den Körper und die Sinne fit zu machen, um gegen einen Gegner zu kämpfen oder zu fliehen.

Die Körperreaktionen sind uns aus Situationen, in denen wir zB. Angst verspüren, bekannt: Der Blutdruck steigt, wir schwitzen, der Atem wird kürzer, wir sind ganz präsent. Nach der schlimmen, aber bewältigten Situation denken wir noch Tage bis Wochen lang darüber nach, und dann wird das Ereignis im biografischen Gedächtnis abgespeichert unter: “Vergangenheit“.

Wenn nun eine Extremsituation der Stresszentrale Amygdala zu viel Stress macht, - wenn weder Kampf noch Flucht möglich sind-, dann kann sie keine Befehle mehr geben. Die Amygdala ist vollkommen überfordert und reagiert nicht mehr: Man erstarrt.

Die Sinnes-Informationen über das Geschehen können im Gehirn nicht mehr verarbeitet werden. Nur Bruchstücke werden wahrgenommen, gespürt und verarbeitet. Das Erlebte kann in keinem Ordner des Biografiearchivs gespeichert werden, da es unvollständig und zersplittert ist. Dennoch bleibt das Geschehen im Gehirn, im Gefühl und im Körper präsent. Das ist das Problem. „Hier und Heute“ und „Damals, als es geschah“ können nicht als getrennt empfunden werden.

Es kann auch zu sogenannter Dissoziation (Depersonalisation, Derealisation) kommen:

dies ist ein Überlebensmechanismus, der es möglich macht, die schrecklichen Situation zu überleben, indem man sich innerlich „wegbeamt“. Betroffene beschreiben es so, dass sie sich selbst nicht mehr spüren, sondern neben sich treten, als würde alles jemand anderem geschehen. Das Geschehen wird also komplett aus dem Bewusstsein gedrängt und kann nicht mehr richtig verarbeitet werden.

Wie wirkt sich eine extrem belastende Situation auf Körper, Geist und Seele aus?

Direkt nach einer extrem belastenden Situation kann es in den folgenden Tagen bis Wochen zu folgenden Symptomen kommen, die normal sind und der Verarbeitung dienen:
die akute Belastungsreaktion

  • Häufiges gedankliches Beschäftigen mit dem Vorfall, ständig drüber reden.
  • Verwirrtheit, Unkonzentriertheit, bis hin zu Desorientierung (zeitlich, örtlich, zur eigenen Person).
  • Erregung, Reizbarkeit, "die Nerven sind gespannt", Schlafstörungen.
  • Flucht in Tätigkeiten zur Ablenkung oder auch totale Passivität und Rückzug.
  • Gefühlsausbrüche, ein Gefühl des „neben sich stehens“.

Die Traumafolgestörung:
Das posttraumatische Belastungssyndrom PTBS:

Als posttraumatisches Belastungssyndrom wird die Folgeerkrankung nach einem unverarbeiteten Trauma bezeichnet.

Sie tritt erst zeitverzögert nach Wochen, Monaten oder Jahren auf und darf nicht mit der akuten Belastungsreaktion, die hilfreich und normal ist, verwechselt werden.

Zu den Kennzeichen der PTBS gehören folgende Merkmale, die nicht in ihrer Gesamtheit auftreten müssen:

Es kommt zu sogenannten Intrusionen

Dies sind Momente, in denen das traumatisierende Geschehen bruchstückhaft im Hier und Heute erlebt wird, als würde es gerade im Moment noch einmal geschehen (sog. Flashbacks).
Auslöser hierfür sind meistens äußere Impulse, sogenannte Trigger. Trigger können Gerüche, bestimmte Sätze, die Ausstrahlung eines Menschen, atmosphärische Stimmungen, Klänge, Tiere, Verhaltensweisen von Menschen etc. sein.
Diese Flashbacks können rein gefühlsmäßig erlebt werden (mit Angst, Panik, Ekel, Hilflosigkeit etc.), ohne zugehörige Bilder, jedoch oftmals verbunden mit den dazugehörenden Körperempfindungen wie Schmerzen, Kälte etc.
Es kann aber auch vor dem inneren Auge der „alte Film“ bruchstückhaft ablaufen, inclusive aller dazugehörigen Gefühle und Körperempfindungen.
Des Weiteren kann es zu Alpträumen mit Traumainhalten kommen.

Vermeidung: Konstriktion

Orte, Aktivitäten, Situationen oder Menschen werden gemieden, die an das Traumageschehen erinnern könnten. Infolgedessen besteht die Gefahr, dass sich der Lebensraum sehr stark einschränkt.
Je mehr Trigger es gibt, umso mehr möchten Betroffene die Belastung durch Flashbacks vermeiden.

Emotionale Taubheit: Numbing

Die traumatisierten Menschen beschließen oftmals unbewusst, möglichst wenig zu fühlen. Dies wäre zu schmerzhaft. Stattdessen werden die Gefühle abgespalten und weggepackt.
Es entsteht ein Gefühl der Gefühllosigkeit.
Die Betroffenen sind auf der Gefühlsebene wenig ansprechbar.
Die Folge davon kann sozialer Rückzug, Beziehungsstörungen und Interessenverlust sein.

Übererregung: Hyperarousal

Man fühlt sich ständig in Hab-acht-Stellung.
Symptome wie Schreckhaftigkeit, ständiges Auf-der-Hut-sein, Unkonzentriertheit, innere Unruhe und die Unfähigkeit zu entspannen machen das Leben sehr anstrengend.
Man gerät schneller in Stress und baut ihn schlechter wieder ab.
Es kann passieren, dass Hyperarousal mit ADHS verwechselt wird.
Schlafstörungen mit Alpträumen, Nervosität, und Leistungsabfall kommen häufiger vor.

Körperliche Schmerzen (oftmals ohne klinische Ursache), sowie Herzrasen, Atemnot oder Beklemmungen im Brustraum sind nicht selten.

Es kann im Weiteren auch zu Essstörungen, selbstverletzendem Verhalten, Suchtmittelkonsum und Suizidalität kommen.

Da das PTBS für den Betroffenen eine große Belastung darstellt, bedarf - und verdient es einer Behandlung durch geschulte Psychiater*innen oder Psychotherapeut*innen.

Auch ausgebildete Traumaberater*innen unterstützen hier gut und wirkungsvoll.

Traumaberatung und -Seelsorge

Das Wichtigste für Menschen, die an einem posttraumatischen Belastungssyndrom (PTBS) leiden, ist es zunächst, mehr Stabilität zu gewinnen. Dabei geht es um äußere und innere Stabilität.

Der erste und wesentliche Schritt der Betroffenen ist dabei, die Entscheidung zu treffen, eine Veränderung zu wollen, auch wenn dies mit schwierigen Gefühlen, Gedanken und Erinnerungen verbunden ist. Die erste wichtige Veränderung besteht darin, die Rolle des ohnmächtigen, hilflosen Opfers zu verlassen, um das Leben mehr und mehr in Eigenverantwortung zu gestalten. Opfer sein bedeutet: "Ich bin hilflos und ohnmächtig gegenüber allem und jedem. Ich kann überhaupt nichts tun." Genau diese Haltung gilt es aufzugeben.
Sie können sich entscheiden immer mehr zu lernen, das „Damals des Traumas“ und das „Hier und Heute“ auseinanderzuhalten und im Heute als Erwachsener das eigene Befinden oder Situationen zu verändern. Das bedarf Hilfestellung und Unterstützung durch die Traumaberatung.

Da die meisten Menschen mit PTBS meinen, sie seien aufgrund ihrer Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen nicht normal, oder gar verrückt, wird in der Beratung Wissen über die Entstehung und die Auswirkungen eines Traumas vermittelt (sog. Psychoedukation). Die Betroffenen dürfen wissen, dass ihr Befinden eine normale Reaktion auf vollkommen unnormale Ereignisse sind und diese Reaktionen als Krankheit anerkannt sind (eben als Traumafolgestörung PTBS). Dieses Wissen hilft meist schon immens und verringert den Druck.

Für die Förderung der äußeren Stabilität ist es notwendig, den Kontakt zum Täter abzubrechen, um erneute Traumatisierungen zu verhindern.
Auch die Erhaltung oder Schaffung eines intakten sozialen Umfeldes mit unterstützenden und wohlwollenden Familienmitgliedern, Freunden, Kollegen, Gemeinde etc. ist Thema.

Zur Förderung immer größerer innerer Stabilität werden verschiedene Strategien als „Hilfe zur Selbsthilfe“ vermittelt und eingeübt.

Um mit belastenden, überflutenden Gefühlen und Bildern umgehen zu können, werden Methoden trainiert, die eine innere Distanzierung möglich machen. zB:

  • Imagination (die von Gott gegebene Fähigkeit, uns in unserem Inneren Dinge vorzustellen und zu schauen),
  • Körper- und sinnesbezogene Ablenkungs- und Reorientierungsmethoden, die einen wieder ins Hier und Jetzt bringen (Notfallmaßnahmen),
  • die Klopftechnik PEP (Prozessorientierte embodymentfokussierte Psychotherapie nach Michael Bohne)

Um den Selbstwert und das Selbstbild zu stärken, arbeiten wir mit der bewussten Hervorhebung und Bewusstmachung von positiven Erinnerungen, Erfahrungen, Erlebnissen und Interessen, die den Ratsuchenden gut tun und ihnen ein positives Selbstbild geben,

Mit Erlaubnis der Ratsuchenden beten wir, laden Gott bzw. Jesus in unsere Mitte ein, und bitten ihn um sein Wirken und seine Heilung der seelischen Wunden.

Gerade wenn Traumatisierungen im Kindesalter stattgefunden haben, gibt es in den Betroffenen verwundete junge Ichs, sogenannte verwundete innere Kinder oder innere Anteile. Man kann sich vorstellen, dass diese kleinen „Selbsts in einem bestimmten Alter, als das Schlimme geschah“ keine Hilfe, keinen Trost und keine Informationen bekommen haben. Sie blieben mit ihrer Not allein und sind bis heute unversorgt.
Da das traumatische Erleben ja weder verarbeitet noch im Biografiegedächtnis an richtiger Stelle eingeordnet wurde, entsteht ein Problem: Das innere Kind weiß nicht, dass die Zeit weitergegangen ist, und funkt ungerufen und ungefragt im Hier und Heute dazwischen. Es gibt den Gedanken- und Handlungsimpuls, der dem jeweiligen Alter des inneren Kindes entspricht. (zB. Trotz, Rückzug, Passivität, Aggressivität, Panik). Warum ist das so? Da das Erlebte ja nicht verarbeitet und einem Zeitraum zugeordnet wurde, meint das innere Kind, es sei immer noch „Damals“, obwohl es schon längst „heute“ ist.
Das behindert das aktuelle Leben natürlich massiv. Es kann - je nach Trauma - durchaus auch mehrere innere Kinder unterschiedlichen Alters geben.
Diese inneren Kinder gut zu versorgen und das Erlebte in Zeit und Raum richtig einzusortieren ist eine Kernaufgabe der Traumaseelsorge.
Der ratsuchende Mensch soll lernen, selbst gut mit ihnen umzugehen und für sie zu sorgen.
Eine lebendige Beziehung zu Gott ist hier eine große Hilfe, denn Gott kennt jeden einzelnen Menschen genau und tröstet, greift ein und hilft so gerne ganz individuell.
„Er, Gott, schenkt denen Heilung, die ein gebrochenes Herz haben und verbindet ihre schmerzenden Wunden.“ (Psalm 147,3 nach der neuen Genfer Übersetzung)

Ein weiterer Aspekt der Traumaberatung ist es, falsche Überzeugungen über sich selbst, die Welt und Mitmenschen, die aus dem Erleben des Schrecklichen entstanden sind, zu erarbeiten. Wir ersetzen diese Irrtümer mehr und mehr durch eine hilfreiche und realistische Sicht. (Kognitive Umstrukturierung).

Wenn selbstverletzendes Verhalten wie Ritzen, sich Verbrennen oder Vchlagen besteht, lernen wir dieses Verhalten zu verstehen, zu stoppen und alternativ zu handeln.

Nach Erreichen einer soliden Stabilität und Selbstregulierungsfähigkeit (und das kann und darf viele Wochen oder Monate dauern) ist eine sogenannten sanfte Traumakonfrontation möglich:
Dabei wird die zersplitterte und noch nicht verarbeitete Traumasituation mit Unterstützung von (Gott und) dem Berater nochmals durchlebt und zu einem „guten Ausgang“ gebracht. Ziel ist das Zusammenbauen der Erinnerungsbruchstücke, das geschützte, gefühlsmäßige Wiedererleben der Situation, um das Trauma auf allen Ebenen zu verarbeiten und so in die eigene Biographie im Damals zu integrieren.
Dabei wird größten Wert darauf gelegt, eine Retraumatisierung zu vermeiden.
Nicht immer ist diese Konfrontation nötig. Oftmals genügt auch eine gute Stabilisierung.

Ziel der Traumaberatung ist es, das erlebte Trauma in die eigene Lebensgeschichte zu integrieren, im Sinne von: „Ja, es ist mir passiert. Ja, es war sehr schlimm. Aber ich bin kein Opfer meiner Vergangenheit mehr und gestalte mein Leben jetzt selbst“. Und: „Meine inneren Kinder gehören zu mir, und ich achte und versorge sie.“

Gefühle der Wut und der Trauer über das Geschehene finden in der Integrationsphase Raum und dürfen sein. Zu einem gewissen Zeitpunkt dürfen sie dann losgelassen werden. Vergebung mit Gottes Hilfe ist hier sehr wirksam.

Die Phasen der Stabilisierung, Distanzierung, Konfrontation und Integration verlaufen nicht nacheinander, sondern sind fließend und gehen immer wieder ineinander über.